Eigentlich verdient dieses Thema eine viel ausführlichere Betrachtung, nicht nur im Sinne meiner persönlichen Psychohygiene als seit nunmehr einem dreiviertel Jahr Politiker einer Regierungspartei, sondern vor allem wegen der erschreckenden Einsicht, wie schlecht es um das Niveau des öffentlichen Diskurses über unsere parlamentarische Demokratie bestellt ist. Ich leiste mir vorläufig dennoch nur einen spontan hingeschmissenen Blogeintrag, schlicht und einfach weil ich ohnehin zuviel hackel, weil ich in diesem dreiviertel Jahr soviel gehackelt hab wie noch nie zuvor in meinem Leben und weil mir die Zeit für eine umfassende Reflexion fehlt. Das ist ein Systemfehler dessen ich mir bewusst bin, und dieser Systemfehler müsste eigentlich Teil einer solchen Abhandlung sein, da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Es geht um die Rolle der Grünen als Regierungspartei in Wien, und ich hängs an zwei Themen auf, die das glaub ich gut illustrieren: Wir haben im Wahlkampf unter anderem gefordert und plakatiert, dass die Jahreskarte der Wiener Linien statt bisher 450 nur 100 Euro kosten solle. Wir haben gesagt, was das nach unseren Berechnungen kosten würde und wo wir uns das Geld dafür holen würden (naheliegenderweise v.a. bei AutofahrerInnen). Nun sind wir in einer Koalition mit der SPÖ. In den Koalitionsverhandlungen nach dem 10. Oktober 2010 war schnell klar, dass wir das mit den 100 Euro nicht hinkriegen – aber auch, dass die Alternative, nämlich Rot-Schwarz, eine Verteuerung auf weit über 500 Euro bedeuten würde (ganz abgesehen von allen anderen Übeln, die eine solche Koalition für Wien bedeutet hätte). Wir haben uns also auf diese Koalition eingelassen, seitdem verhandeln wir weiter. Tausende Dinge, eben auch die Tarifreform, die – auch dank unserer Wahlkampfplakate und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit – ganz besonders intensiv und hartnäckig verhandelt wird (weil’s nicht mein Ressort ist zum Glück ohne mich, aber natürlich kriegen wir im Grünen Rathausklub und in der Partei regelmäßige Updates zu den wichtigsten Verhandlungen und geben uns dazu gegenseitig Feedback). Was bisher klar ist und auch schon öffentlich kommuniziert wurde: Die Jahreskarte wird deutlich billiger statt teurer, auch wenn sie – so wie wir das nach wie vor gerne hätten – von den 100 Euro weit entfernt sein wird. Soweit so normal in einer Koalition, wo man sich auf Kompromisse einigen muss. Sollte man denken. Denn von links bis rechts gibt es Leute die uns das Brechen eines angeblichen Wahlversprechens (was es nie war, sondern ein Wahlziel) vorwerfen.
Ein solches „Versprechen“ hätten wir gebrochen gehabt, wenn wir eine absolute Mehrheit hätten. Haben wir nicht. Oder wenn wir die 100 Euro im Wahlkampf zu einer Koalitionsbedingung gemacht hätten, zu einem sine qua non. Haben wir auch nicht. Wir wollten die 100 Euro, wir wollen sie immer noch, wir kriegen sie nicht, weil uns dazu der Partner fehlt – und die Stimmen am Wahltag. Um diese Stimmen zu kriegen, muss man (nicht nur) in einem Wahlkampf sagen wofür man steht und was man will. Wenn wir nur das plakatiert hätten, was wir garantiert und unabhängig vom Wahlerfolg durchgesetzt hätten, dann hätten wir nicht antreten und schon gar nicht verhandeln brauchen (und dann hätten z.b. die deutschen Grünen vor ihrer ersten Regierungsbeteiligung nicht einmal den Atomausstieg fordern dürfen). In einer Regierungskoalition holen wir nun das raus, was wir mit Leidenschaft, Verantwortlichkeit und Augenmaß, laut Max Weber den wichtigsten politischen Handlungsmaximen (ich würde den dreien auch noch gerne die inhaltliche Kompetenz hinzufügen), kriegen können.
Ähnlich verhält es sich mit dem diese Woche aufgepoppten Thema des kleinen Glücksspiels: Die Grünen Wien kämpfen seit vielen Jahren für ein Verbot, weil wir es für unsozial, gefährlich und allen voran die davon profitierende Firma Novomatic für gelinde gesagt demokratiepolitisch und aus vielen anderen Gründen für, ähem, bedenklich halten. Wir waren immer dagegen, wir sind dagegen und werden auch immer dagegen sein. Seit dem Parteitagsbeschluss der Wiener SPÖ für ein Verbot hat auch sie ein Problem damit. Gut so. Gut für uns alle. Wir können dieses Problem für sie nicht lösen, wir können uns nur (damit noch mehr) BündnispartnerInnen suchen und – gemeinsam mit ihnen – mit Leidenschaft, Verantwortlichkeit, Augenmaß und Kompetenz verhandeln. Das tun wir.
Zu den BündnispartnerInnen gehören auch jene, die uns damit nerven, dass sie uns „Verrat“ und wasweißichwas vorwerfen, wenn wir unsere Forderungen nicht zu hundert Prozent durchbringen. Ihr nervt uns damit, Leute. Und ihr braucht uns auch nicht an unsere Forderungen erinnern, so dement sind wir noch nicht. Aber ihr helft uns damit, in den Verhandlungen den nötigen Druck aufzubauen, damit der Kompromiss ein guter Kompromiss wird. Etymologisch kommt „Kompromiss“ von „sich verpflichten“. Das hat was mit Verantwortung zu tun, und diese Verantwortung nehmen wir gerne wahr.
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