Warum ich Rassist bin
FM4 verzeichnet mit seiner Berichterstattung über die neue Eskimo-Werbelinie „I will mohr“ ein All-Time-High an Forumsbeiträgen. FM4-Autor Martin Blumenau erkennt darin eine „Flut von Postings, die gar nicht wirklich auf die Geschichte und das Gesagte reagieren, sondern auf ein sehr diffuses ‚Dahinter'“. Auch in der Blogosphäre und auf Twitter geht’s rund, und sogar der von mir gegründeten Facebook-Gruppe „Stop racist Unilever-Campaign in Austria“ mit immerhin 500 Mitgliedern in zwei Tagen treten Einzelne nur mit dem Ansinnen bei, das Gruppenanliegen zu delegitimieren. Der Tenor: „Mohr im Hemd“ sei eine traditionelle österreichische Süßspeise, „Mohr“ ein ohnehin antiquiertes Wort, mit dessen Verwendung Unilever Österreich keine rassistischen Absichten pflege. Und überhaupt gebe es wichtigere Probleme als das politisch korrekte respektive übersensible Rumreiten auf Wörtern (gibt es, aber wer von denen die das monieren hat sich bislang für die Lösung „wichtigerer“ Rassismusprobleme engagiert?).
Dass Unilever rassistische Absichten hege hat dem multinationalen Unternehmen meines Wissens auch niemand vorgeworfen. Die dienen vielleicht – natürlich nicht explizit – als Legitimation auf anderer Ebene, nämlich da, wo man es aus Profitinteressen für legitim erachtet, Rohstoffe und Arbeitskräfte auszubeuten, etwa in der Palmölgewinnung oder bei der Ausbeutung afrikanischer oder indischer Tee- und BaumplantagenarbeiterInnen. In der aktuellen Werbekampagne profitiert man, indem man rassistische und kolonialistische Klischees ignorierend bedient, allenfalls vom fehlenden antirassistischen Grundkonsens im diesbezüglichen Entwicklungsland Österreich.
Und der ist tatsächlich gravierend. Und zwar nicht nur da, wo etwa in den Kommentaren zu einem Bericht der Gratis-Schundzeitung Heute Afrikaner taxfrei aufgefordert werden, sich doch „in den Busch“ zurückzuschleichen (der Kommentar wurde mittlerweile gelöscht, entlarvend auch für die „Mohr im Hemd“-Freunde dafür ein anderer: „Es ist lange her, das man mit dem Begriff ‚Mohr‘ das Meinl-Logo oder Mehlspeise verband. Die heutige Spontanassoziation ist Asylbetrug und Drogendealer“). Sondern auch im aufgeklärten, linksliberalen Milieu. Da gibt sich etwa der Grünsympatisant Gerald Bäck unwissend, nicht ohne gegen „politische Korrektheit“ zu polemisieren, während andere wie der Schwulenaktivist Tom Kalkus oder der DÖW-Förderer und Sozialdemokrat Thomas Knapp auf einer Ebene witzeln, die nicht mehr sehr weit entfernt von ähnlichen Polemiken über antirassistischen Sprachgebrauch durch Neonazis ist.
What’s going wrong? Ein Problem liegt sicher in der fast völlig fehlenden Aufarbeitung von Rassimus, Faschismus und Kolonialismus im österreichischen Bildungs- und Mediensystem. Wer im Kindergarten noch die zehn kleinen Negerlein abgesungen hat und daraus mangels öffentlichem Diskurs auch als Erwachsener keine Schlüsse gezogen hat, an dem ist womöglich auch die jahrelange Aufklärungsarbeit antirassistischer Organisationen oder VertreterInnen der Black Community (knapp am Arsch) vorbeigegangen. Das kann passieren, obwohl ich es zumindest bei Intellektuellen auch als eine Holschuld betrachte, sich diese Aufklärung anzueignen. Ein anderes Problem ist aber die ebenfalls typisch österreichische reflexartige Schuldumkehr, die ihre Ursache vermutlich in der psychosozialen Verfasstheit der Nazienkelgeneration hat: „Ich bin kein Rassist“ lautet die, und wer mir – oder auch Dritten – Rassismus unterstellt, wird als übersensibler, humorloser Gutmensch delegitimiert.
Dazu sollte ich vielleicht mal Folgendes klarstellen: Ich für meinen Teil bin Rassist. Ich bin Rassist, weil auch ich strukturell rassistisch sozialisiert bin, auf rassistische Kodizes zum Teil unbewusst reagiere (etwa wenn ich bei Menschen anderer Hautfarbe spezifische Eigenschaften oder Verhaltensweisen antizipiere) und weil auch ich bis vor nicht allzu vielen Jahren z.B. nicht gewusst habe, dass und warum Ausdrücke wie Farbige etc. rassistisch bzw. potenziell verletzend sind. Das ist auch kein Verbrechen – solange man sich des eigenen, anerzogenen strukturellen Rassismus (ähnlich verhält es sich mit Sexismus, Homophobie, Antisemitismus etc.) bewusst ist, diesen reflektiert und vor allen Dingen auf entsprechende Hinweise – etwa durch Betroffene – wohlwollend reagiert. Wenn das aber nicht geschieht, dann ist – und ich verwende den Ausdruck bewusst – auch struktureller und z.B. sprachlicher Rassismus ein Verbrechen, weil er gegen die Menschenwürde verstößt. Und deshalb auch nicht Gegenstand der freien Meinungsäußerung. Dass sich das bei uns – im Gegensatz zu entwickelten Ländern wie z.B. Brasilien – noch nicht in der Gesetzgebung niedergeschlagen hat, ist keine Legitimation sondern ein politischer Missstand.
Wer also seine Aufklärung nachholen will, dem sei z.B. das Buch „Deutschland Schwarzweiß – der alltägliche Rassismus“ von Noah Sow ans Herz gelegt. Aufschluss über den alltäglichen Rassismus in Wien bietet auch Markus Wailands Film „Here to stay“ (kurzer Ausschnitt auf Youtube, aktueller Kommentar im Standard). Dort erklärt die afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, wie in New York mit rassistischen Schmierereien wie in Wien umgegangen würde: „In Amercia people tend to solve problems with major forms of violence. There would probably be very little discussion. There would be a bloodshed.“ Das ist vielleicht auch nicht ideal, aber ich mag die erfrischende Klarheit, mit der sie das sagt.
Nachtrag 6.8.: Hier noch ein sehr lesenswerter Kommentar der Sprachwissenschafterin Verena Krausnecker: Mach dir nicht ins Hemd
Warum ich Rassist bin Read More »