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Das wird ein Gemetzel

Marie von den Wiener Gruenen macht die US-Wahl „fast so nervös wie eine österreichische Naionalratswahl“. Na du hast Nerven. Da koennte in Washington sonstwer an der Macht sein, wenn Oesterreich dereinst gruen wahlt ist die Welt wieder in Ordnung.

Ausgestattet mit dem hoechsten popular vote ever ist jedenfalls zu befuerchten, dass Bush noch mehr durchknallt und zum Beispiel Leute wie Chavez (zu demokratisch), Castro (zu sozialistisch) bis hin zu Lula (zu diplomatisch) ans Messer liefert. Oder kann es sein, dass die Fundamentalisierung der Fundamentalisierung von Corporate America einen erfolgreichen weltweiten Widerstand – sozusagen ab links von Chirac – hervorbringt?

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Tranquilidade 2

João Pessoa ist die zu Unrecht relativ unbekannte Hauptstadt des zu Unrecht relativ unbekannten Bundesstaates Paraíba. Der Name stammt von João Pessoa Cavalcanti de Albuquerque, hiesiger Gouverneur der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, der sich mit den Worten „Nego!“ („ich bin dagegen“) gegen einen korrupten Deal des damaligen Praesidenten Washington (Luiz, nicht George) aufgelehnt hatte. Seitdem ziert das Wort NEGO die schwarz-rote Fahne Paraíbas, was irgendwie sympathisch ist (wenn man davon absieht, dass Pessoa danach Vizepraesident unter Diktator Getúlio Vargas wurde).

Sonst ist João Pessoa die oestlichste und gruenste Stadt Amerikas. Ausser sehr geilem Forró ist wenig los hier, was auch irgendwie sympathisch ist. Dafuer hab ich noch nie so viele Kliniken, Gesundheitszentren und Krankenschwesternschulen gesehen. Jedes zweite Haus ist eine Ordination.

Ich geh in die von einem Ophtalmologen (um auch dieses schoene Wort mal vorgestellt zu haben), weil ich seit zwei Wochen virale Konjunktivitis habe (Bindehautentzuendung, falls das wen interessiert) und schon fast nix mehr sehe. Er erkennt mithilfe modernster Apparaturen ein Herpesvirus (zusaetzlich zur Konjunktivitis, die auf Portugiesisch praktischerweise Conjuntivite heisst) und verschreibt mir ein Medikament eines multinationalen Pharmakonzerns, der im Schwarzbuch Markenfirmen voellig zurecht schwerster Menschenrechtsverletzungen bezichtigt wird, und siehe da, siehe da: ich sehe! Ok, ich gebe zu, mein Mitteilungsbeduerfnis schiesst gerade uebers Ziel hinaus, aber Konjuntivitis ist echt Scheisse.

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Tranquilidade

Natal ist die Hauptstadt von Rio Grande do Norte. Es gibt dort eigentlich nix, ausser Direktfluege von Europa, weshalb der Sextourismus blueht (blueht? welkt?). Vor ein paar Tagen haben sie zwei Spanier verhaftet, weil sie mit 17jaehrigen aufs Zimmer gegangen sind. Zeitungen, Kirche und Politik beklagen genuesslich den moralischen Verfall. Ueber die oekonomischen Ursachen, die die Maedels, meist junge Muetter, auf die Strasse treiben, verlieren sie kein Wort. Viel verdraengte Traurigkeit allerseits.

Suedlich von Natal weicht die Tristeza der Tranquilidade. In Pirangi waechst der weltgroesste Cajú-Baum mit 10.000 m² Grundflaeche. Einmal Rundherumgehen sind 2,5 Kilometer! Noch weiter suedlich ist Pipa, da schwimmen die Delphine fast bis ans Ufer. Ich geh am Strand entlang und erreiche nach drei Stunden das Dorf Sibaúma, das vor Jahrhunderten von afrikanischen SklavInnen gegruendet wurde, die aus Angola versschleppt wurden und das Schiff gekapert haben.

Das Dorf mit seinen etwa hundert kleinen Huetten erinnert mich an Mosambik. Gleich beim Ortseingang bittet mich ein aelterer Herr in seine Huette aus rotem Lehm. Es gibt nur einen Raum, dessen Waende mit schoenen Meerestiermotiven bemalt sind.

Das Dorf ist der Frieden selbst. Kinder spielen auf der Strasse, freundliche Menschen rufen sich gegenseitig und auch mir freundliche Dinge zu, fahren Fahrrad und reiten kleine Pferde. Wenige Autos, weisser Sandstrand und Kokospalmen. Wenn ich mal auf Internet und den restlichen Halligalli verzichten kann, will ich hier leben. Es gibt kein Restaurant, nur einen kleinen Kiosk mit frischem Kokoswasser, Fleischbaellchen und Kuchen fuer insgesamt 30 Cent. Nach Pipa zurueck fuehrt nur der Schulbus.

Beim Einsteigen steckt mir ein Maedchen einen Zettel mit einer Telefonnummer zu: „Das ist von Alina.“ Ich bitte den Busfahrer zu warten, soviel Zeit muss sein, gehe zurueck zum Kiosk, doch Alina fluechtet. Naja, vielleicht beim Naechstenmal.

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Strasser goes Stalin

Als ob Ekel Strasser nicht schon genug Recht gebeugt haette; nach seinen dummen Ausritten gegen ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs vergisst sich der oesterreichische Unsicherheitsminister nun voellig.

Nach Recherchen der Wochenzeitung Falter versuchte der seelenlose Minimachiavelli kritische AsylanwältInnen ohne jeden stichhaltigen Beweis als kriminelle Schlepper vor Gericht zu stellen. amnesty international spricht von politischer Verfolgung.

Vor einem Jahr schrieb ich im Megaphon: „So gesehen könnte man fast sagen, dass der Innenminister, der für die Sicherheit dieses Landes verantwortlich ist, sich selbst zum Handlanger der Kriminalität macht.“ Es wird Zeit, diesen Rechtsbeuger, Unmenschen und Demokratiefeind aus dem Amt zu jagen. Ebenso wie es Zeit wird, Fluechtlinge in Oesterreich vor dem Zugriff eines zunehmend gefaehrlichen Regimes zu schuetzen.

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Besetzt

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In Brasilien gibt es nicht nur Land-, sondern auch Hausbesetzungen. Sogar im Stadtzentrum von Rio sind vier Häuser besetzt. Eines davon haben wir heute besucht. Es gehört ausgerechnet der Landreformbehörde INCRA und steht seit 20 Jahren leer. In der Nacht auf den 23. Juli wurde es von 60 obdachlosen Familien in Besitz genommen. Die Incra fordert das Gebäude zurück, noch ist der Prozess im Gange. Die brasilianische Verfassung verpflichtet Grund- und HausbesitzerInnen zur Nutzung ihres Eigentums. Präsident Lula hat noch im Wahlkampf dazu aufgefordert, leerstehende Häuser zu besetzen. Nach offiziellen Angaben gibt es in ganz Brasilien 6,5 Millionen obdachlose Familien und fünf Millionen ungenutzte Immobilien. Doch von Regierungsseite gibt es keine Unterstützung.

Den HausbesetzerInnen geht um mehr als eine Wohnung: Sie arbeiten mit der Uni zusammen, um Müllrecyclingprojekte ins Leben zu rufen und damit Geld zu verdienen, erzählt der 39jährige Maciel Silva dos Santos. Er ist vor Jahren aus Pernambuco nach Rio zugewandert und lebte bis Juli auf der Straße. „Es gibt Studien, denen zufolge Rio jährlich 600 Millionen Reais (170 Mio. €) mit der Wiederverwertung von Abfällen einsparen und 25.000 Menschen beschäftigen könnte“, behauptet Maciel.

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Die BewohnerInnen haben sich strenge Regeln nach anarchistischen Prinzipien auferlegt: Wichtige Entscheidungen werden in wöchentlich stattfindenden Versammlungen getroffen. Dort werden auch Konflikte geregelt. Alkohol und andere Drogen sind im Haus verboten. Alle Arbeiten am Haus, Ver- und Entsorgung, Essen, Kinderbetreuung etc. werden solidarisch organisiert. Jede/r stellt wöchentlich 20 Arbeitsstunden zur Verfügung, wer Geld verdient leistet einen Solidarbeitrag. Bis jetzt scheint das zu funktionieren, die Stimmung ist gut, aber es sind auch schon Mitbewohner wegen asozialen Verhaltens rausgeflogen.

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Gangan ruht sich aus

Gestern früh wurde ich wieder mal von heftigen Maschinengewehrsalven geweckt. Die Drogenbanden ballern hier oft mit schwerem Gerät, das aus Militärbeständen stammt, von einem Hügel zum anderen. Häufig nur, um ihre Macht zu demonstrieren. Gestern aber war die Polizei am Hügel gegenüber und hat Irapuan David Lopes, genannt Gangan, erschossen.

Der Drogenboss, der von den heutigen Zeitungen als größter Feind Rios bezeichnet wird, beherrschte den Handel in zehn Favelas und belieferte darüber hinaus die zwei größten, Rocinha und Vidigal. Der 34jährige begann mit 14 Jahren zu dealen. Er verdiente mindestens 600.000 Euro im Monat und unterhielt einen Harem von kolportierten 200 Frauen. Als während des Geburtstagsfestes eines seiner Söhne ein Motorrad Lärm erregte, exekutierte er den Fahrer. Wegen eines Missverständnisses mit der Müllabfuhr ließ er ein Verwaltungsgebäude der Stadt mit Maschinengewehren beschießen. Im Mai erschoss er einen 14jährigen, weil ihm danach war. Vor zwei Monaten vierteilte er einen verfeindeten Dealer mit der Motorsäge. Und zu seinem eigenen Geburtstag am 2. November tötete er angeblich regelmäßig jemanden und trank dessen Blut. Steht in der Zeitung.

Gleichzeitig versorgte er bedürftige Familien seiner Favela mit Grundnahrungsmitteln, ließ für gemeinützige Feste Brauerei-LKWs überfallen und verteilte noch am Wochenende Geschenke zum Internationalen Tag des Kindes. Wenn er schwer bewaffnet in den Kampf gegen verfeindete Drogenbanden oder die Polizei zog, sagte er: „Ein Krieger stirbt nicht, er ruht sich aus.“

Seit gestern ruht sich Gangan aus. Er wurde im Bett mit einer blonden Frau von der Polizei überrascht, flüchtete, schoss auf die Polizisten und wurde von mehreren Kugeln getroffen. Im ganzen Viertel blieben seitdem Schulen und Geschäfte geschlossen, weil Gangans Leute Trauer angeordnet haben.

Im britischen Independent erschien vorgestern ein übersichtlicher Artikel über Rio, The city of cocaine and carnage, den die politisch Verantwortlichen entrüstet als einseitig und übertrieben zurückweisen. Sie leben nämlich ganz gut mit dieser Art Public-Private-Partnership: Politische Eliten und Drogenwirtschaft sichern sich gegenseitig die Macht, indem sie durch den Krieg eine Situation der Instabilität aufrecht erhalten.

Während ich diese Zeilen schreibe, schießen sie gegenüber schon wieder. Sie kämpfen um Gangans Nachfolge.

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Kolumbus gestürzt

In Caracas haben Anhänger des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez eine Statue von Christoph Kolumbus wegen Völkermordes an der indigenen Bevölkerung gestürzt, berichtet Reuters, während sich Spanien und die Dominikanische Republik um die Identität von Columbus‘ Überresten streiten. Chavez erklärte bereits vor zwei Jahren den 12. Oktober, an dem 1492 aus eurozentrischer Sicht Amerika „entdeckt“ wurde, zum „Tag des indianischen Widerstandes“.

Wer noch nicht wusste, warum die USA und multinationale Unternehmen nicht gut auf Chavez zu sprechen sind, erfuhr gestern warum: Chavez Announces that Venezuela will Raise Oil Production Royalties.

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So genannte Schulden

Zeitgleich mit einem Artikel in der Zeit, der lediglich gängige rassistische Klischees bedient, veröffentlichte die entwicklungspolitische Organisation WEED den Schuldenreport 2004.

Während IWF und Weltbank, deren Herbsttagung am 4. und 5. Oktober 2004 in Washington stattfand, private Kapitalflüsse als Mittel der Entwicklungsfinanzierung vertreten, zeigt der WEED-Report, dass sich diese auf eine Gruppe von Schwellenländern konzentrieren. Den beiden mächtigen Finanzinstitutionen gehe es lediglich um die größtmögliche Rendite, nicht um Armutsbekämpfung. Die absolute Armut (weniger als ein US-Dollar pro Tag) habe in Subsahara-Afrika, den arabischen Staaten, in Mittel- und Osteuropa sowie in der ehemaligen Sowjetunion sogar wieder zugenommen.

In der Diskussion um Reformprozesse und Alternativen bewertet der Report u.a. das Entschuldungsverfahren im Rahmen der HIPC-Initiative (Highly Indebted Poor Countries) und setzt sich mit Basel II, einem Anfang Juli beschlossenem Regelwerk zur Bankenaufsicht, auseinander. Neben dem weiterhin aktuellen Instrument der Kapitalverkehrskontrollen wird das wechselkurspolitische Konzept des Managed Floating vorgestellt.

Brasilien zum Beispiel kämpft mit einer riesigen Schuldenlast (siehe mein Artikel für die Welt am Sonntag), die zu einem großen Teil aus krummen Geschäften westlicher Banken und Konzerne wie Siemens mit dem ehemaligen Militärregime stammt und 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Allein die Zinsen von 7,5 Prozent des BIP machen jede ernsthafte Form von Armutsbekämpfung unmöglich. So sind 50 Millionen BrasilianerInnen unmittelbar von Hunger betroffen, obwohl das Land einen Budgetüberschuss von 3,75 Prozent vor Schuldendienst erwirtschaftet.

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Modern Slavery Thriving in the U.S.

Eine Studie der University of California kommt zum Ergebnis, dass in den USA mindestens 10.000 Menschen unentgeltliche Zwangsarbeit verrichten. Vor allem in Sweatshops, Restaurants, Hotels, landwirtschaftlichen Betrieben und Haushalten sowie in der Sexbranche werden Sklaven und Sklavinnen beschäftigt.

Betroffen sind in erster Linie illegalisierte EinwandererInnen. „The most shocking aspect of this report is that modern-day slavery still exists,“ berichtet Berkeley-Professorin Laurel Fletcher. „Slavery is a problem the public thinks we solved long ago, but, in fact, it’s alive and well. It has simply taken on a new form.“

Volltext der Studie vom September 2004 (73 Seiten) als pdf: Hidden Slaves: Forced Labor in the United States

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