Vor einigen Wochen habe ich vier Vorschläge gemacht, was jeder ganz persönlich tun kann. Die letzte Folge dieser Kolumne soll nun ein paar konkrete Beispiele für Aktionen zeigen – als Anregung und zur Ermutigung für eigene Ideen:
In vielen Städten veranstalten junge Menschen so genannte Globalisierte Stadtführungen: Mit der gemeinsamen „Besichtigung“ von H&M, McDonald’s und anderen Läden klären sie zum Beispiel Schulklassen vor Ort über ökologische und soziale Missstände in den Produktionsketten der großen Markenfirmen, aber auch über Alternativen wie den Fairen Handel auf. Sie informieren dort mitten im Geschäft über das, was nicht auf den Etiketten steht: Kinderarbeit, Niedrigstlöhne und andere Formen globaler Ausbeutung. In England gibt es eine Gruppe junger Menschen, die den Spaß noch weiter treibt: Sie pilgern in die großen Shoppingcenter und knien inbrünstig betend vor den dort angebotenen Markenartikeln nieder. Damit wollen sie auf satirische Weise öffentlich machen, wie sehr sich diese Einkaufstempel längst zu den Heiligtümern der modernen Konsumgesellschaft hochstilisiert haben.
Eine meiner Lieblingsaktionen fand statt, nachdem ich mit einer Gruppe Jugendlicher im Saarland einen Workshop gehalten hatte. Ich hatte ihnen von westafrikanischen Kindersklaven in der Kakaoernte für Firmen wie Kraft, Nestlé und andere erzählt. Die Kids waren stinksauer. Und sie wollten was tun. So entstand die Idee, KonsumentInnen über die Zustände in Afrika zu informieren. Wir kauften Klebeetiketten, auf die wir folgenden Text druckten: „Verbraucherinformation der Schokoguerrilla: Der Kakao für dieses Produkt wurde von Kindersklaven geerntet. Weitere Infos: markenfirmen.com. Auf diese Homepage stellten wir kurzfristig detaillierte Hintergrundinfos. Dann schwärmten die Jugendlichen aus, um die Aufkleber in allen örtlichen Supermärkten auf jedes Kakao- und Schokoladeprodukt zu kleben. In einem Geschäft wurde die selbsternannte „Schokoguerrilla“ vom Kaufhausdetektiv erwischt. Doch sie waren gut vorbereitet: Wir hatten diesen Fall bereits vorher in Rollenspielen geprobt. Die Kids hielten dem erstaunten Wachmann einen Kurzvortrag über die Produktionsbedingungen an der Elfenbeinküste, worauf dieser sagte: „Eigentlich habt ihr recht“. Am nächsten Tag klebte die „Verbraucherinformation“ noch immer auf allen Milka- und KitKat-Riegeln.
Natürlich ist es nicht legal, Produkte zu bekleben und damit das schöne Image glücklich weidender lila Kühe zu zerstören. Aber ist es denn legitim, sechsjährige Kinder für die Profite der Schokoladenkonzerne auszubeuten und sie an Hunger qualvoll sterben zu lassen, nur weil diese Ausbeutung mangels global gültiger Gesetze legal ist?
Im deutschen Gorleben versuchen AtomkraftgegnerInnen regelmäßig, den Transport von Atommüllbehältern zu blockieren. Umweltgruppen wie Greenpeace besetzen Ölplattformen, Chemiefabriken oder Kraftwerksgelände. Da AsylwerberInnen oft unschuldig verhaftet werden, nur weil sie im „falschen“ Land zur Welt gekommen sind, bemühen sich AktivistInnen Greenpeace, ihre Abschiebung zu verhindern. In ärmeren Ländern besetzen landlose Bauern und Menschen aus den Elendsvierteln ungenutzte Ländereien von GroßgrundbesitzerInnen, um dort Landwirtschaft zu betreiben. Und auch bei uns finden manchmal Besetzungen leerstehender Häuser statt, etwa wenn die nur zu Spekulationszwecken dienen.
Bei Aktionen, die die Grenzen des gesetzlich Erlaubten überschreiten, ist es besonders wichtig, auf Verhältnismäßigkeit und gute Kommunikation zu achten, um die Unterstützung der Bevölkerung nicht zu verlieren. Der Managementforscher Bernhard Mark-Ungericht erklärt, dass „begrenzte Regelverletzungen, Gesetzesbruch also, beim Durchschnittsbürger keineswegs emotionale Abwehr erzeugen“, wenn es um übergeordnete Ziele – also etwa Menschenrechte oder Umweltschutz – geht. Als in Frankreich infolge der Wirtschaftskrise Konzernmanager von den Belegschaften kurzfristig als Geiseln genommen wurden, um Massenkündigungen zu verhindern, wurde von rund der Hälfte der FranzösInnen als legitim betrachtet. Wenn die Welthandelsorganisation ohne jegliche demokratische Legitimation entscheidet, in der EU den Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel zu gestatten, obwohl dies von der Mehrheit der europäischen Bevölkerung abgelehnt wird, dann wird es von vielen auch als legitim angesehen, wenn AktivistInnen auf Gentechfelder gehen und dort Setzlinge ausreißen.
Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Organisationen wie Attac oder Greenpeace, aber auch Gewerkschaften, Schulen, Vereine und kurzfristig gebildete Initiativgruppen lassen sich immer mehr und immer kreativere Ideen einfallen, wie man die Öffentlichkeit über die katastrophalen Auswirkungen unseres ausbeuterischen Wirtschaftssystems informieren kann. Da kann man einfach mitmachen oder sich für spontane Initiativen mit dem eigenen Freundeskreis inspirieren lassen.