Seit Organisationen wie Greenpeace die Kampagne für saubere Kleidung und Publikationen wie das Schwarzbuch Markenfirmen auf Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit, globale Ausbeutung und Umweltzerstörung durch multinationale Unternehmen hinweisen, wollen immer mehr Menschen ihre Konsumprodukte aus ethisch und ökologisch „korrekter“ Herkunft beziehen. Häufig erhalte ich Anfragen, ob man diese oder jene Marke denn mit reinem Gewissen kaufen könne. Verlage drängen mich, doch endlich ein „Weißbuch Markenfirmen“ zu schreiben, also sozusagen eine Liste ethisch „unbedenklicher“ Marken.
Auch wenn ich damit womöglich viel Geld verdienen könnte: Eine solche Liste wird es von mir nicht geben. Weil es erstens unmöglich ist, weltweit agierende Konzerne mit Tausenden Zulieferbetrieben so umfassend zu kontrollieren, dass man sie „freisprechen“ könnte. Zweitens hat jeder Multi, der seine Profite auf Basis der Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern erwirtschaftet, ein systematisches Interesse daran, diese Unterschiede aufrecht zu erhalten: Das liegt nicht an „bösen“ oder unwilligen ManagerInnen, sondern an einem Wirtschaftssystem, das Ausbeutung ökonomisch belohnt und so zur Geschäftsgrundlage macht.
Natürlich gibt es Hunderttausende kleine und mittlere Firmen, denen eine ökologisch und sozial nachhaltige Wirtschaftsweise wichtiger ist als die schnelle Rendite. Doch ein „Weißbuch“ über meinen Lieblingsschuster oder die Fahrradhändlerin ums Eck würde Leserinnen und Leser in Frankfurt, Budapest oder Buenos Aires relativ wenig interessieren.
Dennoch suggeriert eine Fülle aktueller Buchtitel, wie man mit „Shopping die Welt verbessern“ oder nur ein paar einfache Einkaufstipps beachten muss, um „die Welt zu retten“. Mit den LOHAS gibt es sogar einen von der Werbeindustrie umworbenen Konsumtrend, der auf gesunde und nachhaltige Lebensweise setzt. In den USA sollen 30 Prozent der VerbraucherInnen diesem Typ entsprechen, in Deutschland etwa 15 Prozent. Das ist schon ganz nett: In einer Marktwirtschaft bestimmt die Nachfrage zumindest zum Teil das Angebot, und je mehr Menschen Bio, aus Fairem Handel, vegetarisch oder aus der Region einkaufen, desto mehr wird sich der Markt diesen Bedürfnissen anpassen.
Wenn aber nun einige dieser Lohas glauben, ihren Teil zur Rettung des Planeten beizutragen, indem sie sich ein Hybridauto zulegen, halte ich das für ziemlichen Unsinn. Fahrrad und Bahn belasten nämlich die Umwelt immer noch weniger, aber vor allem können sich diese Art reinen Gewissens nur die leisten, die genug Geld dafür haben, und das gilt in geringerem Maß leider auch für die immer noch relativ teuren Öko- und Fairtradeprodukte. Wenn dann manche sogar meinen, demokratische Entscheidungen würden heutzutage an der Supermarktkasse getroffen, dann heißt das nichts anderes, als dass die Reichen in dieser „Konsumentendemokratie“ mehr mitzubestimmen haben als die weniger Wohlhabenden. Und damit wird genau das vorangetrieben, was wir eigentlich bekämpfen sollten – die Ökonomisierung und Privatisierung von Demokratie und Gesellschaft. Denn eine Hartz-IV-Empfängerin oder ein afrikanischer Kleinbauer haben kaum die Möglichkeit für solcherlei Gewissenspflege.
Ein Beispiel für die Blauäugigkeit vieler Lohas ist auch das deutsche „Internetportal für strategischen Konsum und nachhaltigen Lebensstil“ Utopia. „Kaufe dir eine bessere Welt“, heißt es da, als ob es nicht im Gegenteil darum ginge, die Welt vor ihren Verkäufern zu retten. Weil man „nicht von Spenden oder anderen gemeinnützigen Zuwendungen abhängig sein“ will, finanziert sich Utopia „durch das private Engagement der Gründer und erste Kooperationen“. Darunter auch Konzerne wie OTTO und Henkel. OTTO stand 2006 im „Schwarzbuch Markenfirmen“ noch für „Ausbeutung, sexuelle Belästigungen und andere Missstände in Zulieferbetrieben“, die Kampagne für Saubere Kleidung vermutet, dass China, die Türkei und Indien die Hauptlieferländer für Textilien sind. Überall dort sind desaströse Arbeitsbedingungen die Regel. Im Dezember 2006 wurde einem OTTO-Lieferanten sogar Kinderarbeit vorgeworfen. Immer mehr Utopia-User beklagen sich übrigens, dass ihr Account wegen kritischer Bemerkungen gelöscht worden sei.
Wenn wir für unsere Handlungen wirklich Verantwortung übernehmen wollen, dann dürfen wir uns nicht nur, wie das die Werbeindustrie gerne hätten, als KonsumentInnen sehen. Wir müssen wieder Menschen werden.