Er hat das „Schwarzbuch Markenfirmen“ geschrieben, in „Uns gehört die Welt“ erklärt er Macht und Machenschaften von Konzernen – für jetzt.de macht Klaus Werner-Lobo Wirtschaft plastisch.
Heute möchte ich über Alternativen zum Kapitalismus reden. Und bitte gleich um Entschuldigung, dass das in einer Kolumne wie dieser natürlich ein fast unmögliches Unterfangen ist: Zu komplex sind die Wirtschaftszusammenhänge einer globalisierten Welt, und zu gefährlich wäre es, hier einfache Lösungen zu erwarten.
Wer das unmenschliche System des Kapitalismus mit seiner Fixiertheit auf persönliche Bereicherung auf Kosten anderer und der Umwelt kritisiert, wird schnell verdächtigt, auf das einzige weltweit bekannte Gegenmodell zu setzen: Den autoritären Kommunismus, wie er in den Sowjetländern gescheitert ist und wie er uns in Ländern wie China, aber auch zum Beispiel in Kuba noch immer vor Augen führt, dass autoritäre Modelle immer auf Kosten individueller Freiheit und der grundlegenden Menschenrechte gehen.
Ich selbst war im Februar vier Wochen lang auf der Karibikinsel und konnte mich davon überzeugen, dass auch dort der Preise für die vergleichsweise hohe soziale Gerechtigkeit sehr hoch ist. Verglichen mit den kapitalistischen Ländern Lateinamerikas fällt es in Kuba zwar auf, dass es dort trotz der allgemeinen Armut so gut wie keinen Hunger, keine Obdachlosigkeit, keine Straßenkinder und kaum Kriminalität gibt. Dinge, die überall sonst auf dem Subkontinent menschenunwürdige Ausmaße angenommen haben. Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sind zum Teil sogar besser als in Europa, doch Planwirtschaft, Polizeistaat und die massive Einschränkung von Meinungs-, Reise- und anderen Grundfreiheiten reduzieren den Einzelnen auf ein Rädchen in einem übergeordneten, autoritären System und hemmen sowohl den wirtschaftlichen Wohlstand als auch die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten. Also letztendlich das Potenzial der Menschen, ein glückliches Leben zu führen.
Nun gibt es in der Geschichte Gesellschaftsmodelle, die eigentlich ganz gut funktioniert haben, aber durch autoritäre und mit Waffengewalt durchgesetzte Systeme wie Kapitalismus und Realsozialismus fast immer und überall unterdrückt wurden. Eines davon ist der Anarchismus: Entgegen landläufiger Meinung bedeutet Anarchie nicht Chaos, sondern im Gegenteil „Ordnung ohne Herrschaft“. Das griechische Wort ??????? heißt nichts anderes als Herrschaftslosigkeit. Tatsächliche lebten und leben zahlreiche indigene Gesellschaften weitgehend ohne autoritäre Herrschaft: Leitungs- und Organisationsfunktionen werden auf Zeit und auf die jeweilige Aufgabe beschränkt vergeben, das Zusammenleben wird – ähnlich wie in einem Verein, wo alle freiwillig Mitglieder sind – durch Regeln geordnet, die gemeinsam und nicht durch eine zentrale Führungsgestalt entschieden werden.
Anstelle der persönlichen Bereicherung mit privatem Eigentum werden Ressourcen gemeinsam erwirtschaftet, verwaltet und geteilt. Dass das nicht nur in „primitiv“ lebenden Gesellschaften funktioniert, zeigte sich zum Beispiel während des spanischen Bürgerkrieges (1936-39), als große Teile Nordspaniens von der Bevölkerung selbst verwaltet wurden, ohne dass es eine Regierung gab. Weil sich niemand mehr persönlich bereichern konnte, kosteten viele Waren plötzlich nur noch ein Viertel des früheren Preises, und auch die Produktion stieg. Die spanischen AnarchistInnen verwalteten sogar die Verkehrsbetriebe von Barcelona – schon damals eine Millionenstadt – erfolgreich und ohne Vorgesetzte. Dass diese Phase vorüberging, lag nicht am Scheitern des Systems (wie in den Sowjetrepubliken), sondern an den spanischen Faschisten unter General Franco, die den Bürgerkrieg gewannen und das Land in eine Diktatur stürzten.
Gerade aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse bleibt der liberale Sozialismus, wie man den Anarchismus auch nennt, natürlich eine Utopie. Die Frage müsste also sein, wie wir das, was wir jetzt bereits an sozialen Errungenschaften haben – allen voran Demokratie, Rechtssysteme und solidarische bzw. ökologische Wirtschaftsformen – so weiterentwickeln können, dass wir dieser Utopie zumindest ein Stück näherkommen. Das Wort „Wirtschaft“ kommt von „Werte schaffen“. Das Streben nach Profit für einige wenige schafft keine Werte, es erzeugt Zerstörung und Ausbeutung. In einer globalisierten Welt ginge es daher darum, mithilfe demokratischer Entscheidungen Regeln zu schaffen, die den gesellschaftlichen Wohlstand unter Achtung der ökologischen Grenzen des Planeten zum Wirtschaftsziel erheben – anstelle von Shareholder Value und „Geiz ist geil“. Wir brauchen dafür eine radikale Reform und Weiterentwicklung unserer demokratischen Systeme. Wir brauchen Steuerreformen, die die Reichen zu einem Beitrag zur Armutsbekämpfung und zur Finanzierung der Sozialsysteme zwingen. Wir brauchen – gerade im Angesicht der Finanz- und Kapitalismuskrise – massive Investitionen in moderne, erneuerbare Energieformen, in Armutsbekämpfung, in Gesundheit und vor allem in Bildung, Bildung, Bildung – Dinge, die US-Präsident Barack Obama zum Unterschied von den meisten europäischen Regierungen erkannt hat. Wie das im Einzelnen aussehen könnte, möchte ich beim Nächstenmal erklären.