Am kommenden Dienstag startet der „Anarchoclown“ Leo Bassi in Madrid sein neues Programm „Utopia“. Bassi hat in den letzten Jahren vor allem mit seiner religionskritischen Show „La Revelación“die Gemüter erhitzt und dafür in Spanien sogar Morddrohungen, ein versuchtes Bombenattentat und politische Zensur vonseiten rechtskatholischer Fundamentalisten geerntet. Vergangenen Mai hatte ich das Vergnügen, mit meinem Clownlehrer selbst auf der Bühne des Wiener Orpheum zu stehen. Mit „Utopia“ will Leo Bassi nun die utopienlose Linke herausfordern. Ab März kommt geht er damit auch in Deutschland und Österreich auf Tournee.
Der linken spanischen Tageszeitung Público gab der Clown, Narr und politische Provokateur dieser Tage ein Interview, das ich hier leicht gekürzt übersetzt habe, weil ich Bassis Gedanken trotz einiger Kritikpunkte (z.b. die Nichterwähnung der Hamas-Verbrechen bei der Verurteilung Israels) sehr inspirierend finde. Ich bin mit meinem Spanisch ein bisschen aus der Übung, Korrekturvorschläge sind also willkommen.
Wann entstand die Idee für „Utopía“?
Utopía ist die Konsequenz aus „La Revelación“, dieser drei Jahre voller Probleme, Bedrohungen und politischen Drucks. Ich wurde allein gelassen. Die linken Parteien wollten sich nicht die Finger schmutzig machen und haben sich zurückgehalten, nur einige wenige haben Farbe bekannt. Eine schaurige Erfahrung: Mit Leibwächter zu leben, unter Polizeischutz aufzutreten. Aber ich bin stolz darauf, dass ich die Rechte mit einem einfachen Theaterstück bei den Eiern gekriegt habe. Das zeigt, welche Kraft noch immer im theatralischen Akt steckt. Es waren drei auf einer menschlichen Ebene sehr intensive, außerordentlich reichhaltige Jahre voller Emotionen. Vielleicht sollte ich der der Alternativa Española, der Falange und Hazteoir (katholisch-faschistische Organisationen, Anm. d. Übers.) für diese außerordentliche menschliche Erfahrung danken.Aber warum zielt die Kritik in deinem neuen Stück nun auf die Linke?
Die Ziele der Ultrarechten sind sehr eindeutig. Dafür sind sie unter Umständen sogar bereit zu töten. Aber die Linke scheint nicht zu wissen, wohin sie will. Utopien sollte für Linke das sein, was der Glaube für die Gläubigen ist. Ich wollte ein Stück machen, um die Linke daran zu erinnern was ihre Ideen einmal waren. Und warum es an Leidenschaft fehlt, warum es diese ideologische Leere gibt. Von Utopien zu reden ist ja schon fast schon etwas Negatives: Du wirst als Verrückter und Rückständiger bezeichnet.Und warum suchst du die Verantwortung dafür nicht bei der Rechten?
Die Rechte kann töten, um ihre Ideale zu verteidigen. Darin liegt etwas Leidenschaftliches, Atavistisches, Instinktives. Sie konservieren die Dinge auf eine sehr grundsätzliche Art. Die Rechte ist steinzeitlich, animalisch. Unsereins wiederum muss sich mit solcher Intensität erst selbst überzeugen. Für die Rechten sind Linke oberflächlich und infantil. Und sie sind Weicheier. Die Neocons stehen der Geschichte, dem Schicksal und Gott gegenüber in der Schuld. Das ist natürlich heuchlerisch. Denn nur wer nicht reist, wer in seinem Dorf bleibt, kann konservativ sein. Aber…Wo startet die Dramaturgie deiner Utopie?
Bei der französischen Revolution. Ich analysiere, warum sich die die Sowjetunion aufgelöst hat. Und spanne den Bogen bis in die Gegenwart. Das Scheitern der Utopien beginnt mit dem Ersten Weltkrieg. Vorher war Europa fröhlich, dynamisch, voll internationalistischer Sehnsucht: Überall Weltausstellungen, Kino, Telefon, Elektrizität…Und was geschah dann?
Eine Art Verschwörung, um die Utopien ins Knie zu ficken. Und das ist ihnen gelungen. Der Nationalismus hat den Internationalismus in Stücke geschlagen. Die Mächtigen fürchteten den Internationalismus der Arbeiterklasse. Das ging soweit, dass Österreich, ein Grundpfeiler des Katholizismus, gegen Italien kämpfte. Benedikt XV, der Papst des Friedens, ermunterte beide Kriegsparteien auch noch. Dabei hätte er nur sagen müssen „Ich exkommuniziere jeden Katholiken, der einen anderen Katholiken tötet“, und der Krieg hätte sofort ein Ende gehabt. Die islamische Welt führte übrigens nie einen Weltkrieg.Was passierte dann mit den Utopien des 19. Jahrhunderts?
Sie deformierten sich. Eine ganze Generation lernte zu töten. Die utopischen Sozialisten verwandelten sich in Nationalisten. Sie verloren ihre Unschuld und ihre Utopien. Nach dem Fall der Berliner Mauer und des Ostblocks machte die Linke ihre Arbeit nicht mehr. Die dogmatische Linke hat sich nicht reformiert.
Wo ist die Linke jetzt, mitten in der Krise des Kapitalismus?
Sie gibt den Banken Geld! Das ist keine vorübergehende Krise. Es ist eine strukturelle, tiefgehende und philosophische Krise. Die Krise berührt das Dogma des Freien Marktes. Wir erleben den Niedergang der Dogmen der Rechten, und anstatt die Gelegenheit zu nützen, fürchtet sich die Linke. In „Utopia“ lasse ich die Sektkorken knallen, um den Fall der Dogmen und des Raubtierkapitalismus zu feiern. Man muss wirklich endlich alle Dogmen brechen!Und wo liegt der Stein der Weisen?
Ich glaube an eine Linke mit freiem Markt, aber mit gemeinschaftlichen Idealen. Wir brauchen mehr Verantwortung im freien Markt. Es kann kein Fußballspiel ohne Schiedsrichter geben. Die würden sich in fünf Minuten umbringen!Zugleich werden mit öffentlichen Mitteln keine kritischen Werke gefördert…
In Spanien ist es unmöglich, mit öffentlichem Geld ein Stück über Atheismus zu machen, weil sich das keine Verwaltung traut. Aber auch die Linke möchte keinen Komiker, der unkontrolliert von Staat und Parteien leben kann. Ich habe für mich entschieden, dass es interessanter ist, als freier Narr zu leben, als sich unter die Markthändler am Rande der Golfplätze zu mischen.Wo läge die Verantwortung einer internationalen Linken?
Darin, den Leuten auf der Straße zuzuhören, ohne die Angst, Wahlen zu verlieren. Wir müssen Lösungen für die nächsten 200 Jahre finden und den Alltag vergessen. Wir müssen eine neue Gesellschaft wiedererfinden. In meinem Stück erwähne ich die Chaostheorie: Ein kleiner Zufall kann riesige Strukturen verändern. Auf die selbe Art kann eine kleine hoffnungsvolle Bewegung in 10.000 Jahren eine soziale oder kulturelle Revolution auslösen. Das Gesetz der Thermodynamik! Ideen zerstören sich nicht, sie transformieren sich.Die Rechte redet den Mai 1968 schlecht, als ob da nichts passiert wäre.
Im Gegenteil, dessen Werte beginnen gerade erst. Die Menschheitsgeschichte schreibt sich nicht in 40 Jahren, sondern in 4000. Der Mai 68 hat noch nichtmal angefangen.Womit muss das Publikum in „Utopía“ rechnen?
Damit, zu vertiefen, was uns von den Neandertalern unterscheidet. Der Mensch ist kein Tier mehr, er tritt dem Feuer gegenüber und hat keine Angst. Der Kerl, der das Feuer entdeckte, war Anarchist. Alle sagten: Rühr das Feuer nicht an! Aber er tat es und schaffte damit etwas Neues. Wir müssen die Akteure unseres Schicksals werden. Die Kirche möchte uns nicht als Akteure haben. Sie gönnte der Menschheit den Apfel der Erkenntnis nicht. Aus Mangel an Bescheidenheit! Die Rechte will konservieren. Die Linke will erfinden. Die Rechte: verschließen. Die Linke: öffnen. Die Rechte: kontrollieren.Wie viel Verantwortung trägt die Kirche?
Viel. Zum Beispiel sollten wir Pläne anstellen, die Bevölkerungszahl zu vermindern. Man lebt mit 5 Milliarden Menschen besser als mit 9 Milliarden. Und die Kirche unterstützt den Gebrauch von Kondom immer noch nicht…Ist Ökologie utopisch?
Ökologie bedeutetet einen poetischen und künstlerischen Wert, und nicht nur den Prozentsatz von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Sie ist ein utopisches, sinnliches Ideal. Auf der anderen Seite hat uns die Technik dazu gebracht, die Poesie der Zeit zu verlieren. Die wirklichen Utopien, die romantischen Träume, entstehen im Angesicht der Unendlichkeit. Ohne die Magie des Lebens und der Poesie gibt es keine Träume, keine großen Visionen. Wir müssten die Technik wieder als Spielzeug betrachten, als Traum, so wie im 19. Jahrhundert.Was ist deine Meinung zu den israelischen Angriffen?
Der Staat Israel agiert gegen die Erklärung der Menschenrechte. Er ist ein Staat, der für die Juden geschaffen wurde, ein rassistischer, ausschließender Staat. Staaten müssen laizistisch sein. Deshalb ist die Linke in ihrem Kampf gegen den Nazismus erstarrt. Man muss die Essenz des Staates Israel an und für sich verurteilen, nicht nur die Bombardements. Karl Marx sagte, Religion ist das Opium des Volkes. Er sprach dabei vom Judentum. Er hatte Angst vorm Zionismus.Und was denkst du über Obama?
Er ist weißer als die Weißen. Er ist eine Art Klassenerster, der Streber. Darin liegt ein Risiko. Wer weiß, vielleicht wird er sogar noch schlimmer als Bush. Aber schauen wir mal…Zurück zur Linken. Wenn es um die Linke in Lateinamerika geht, sieht die Welt eine andere Seite. Chavez wird dämonisiert…
Morales und Chávez fördern die indigene Kultur, die gerade am Erwachen ist. Sie hinterfragen sogar die Tatsache, der westlichen Kultur anzugehören. Die Revolution von Chávez ist legitim. Aber die Rechte hat keine Angst vor der Linken und lacht darüber. Siehe Italien: Berlusconi hat die ganze Welt überzeugt dass es keine andere Art zu leben, zu konsumieren gibt. In Italien gibt es keine Alternative. Man müsste den Kindern in der Schule schon beibringen, was Werbung vermag. Dass die einfach das Volumen raufdrehen und dir Lust aufs Kaufen machen. Man müsste die Kinder gegen das System impfen!Und was kann ein Komiker, ein Narr da tun?
Kommunizieren, indem er die Leute zum Lachen bringt. Der Humor ist ein Mechanismus mit enormer Wirkung auf den Körper. Deshalb ist der Geist des Bouffon sogar wichtiger als der konkrete Kampf um politische Themen. Er repräsentiert das freie Denken, ist flexibel und öffnet neue Wege. Der Narr sagt Wahrheiten, die niemand zu formulieren wagt. Deshalb haben die Rechten Angst vor dem Lachen.Aber sie kritisieren und missachten dich, weil du Narr bist…
Mein ganzes Leben lang habe ich der Versuchung widerstanden, ernst zu sein und mich in die bürgerliche Kategorie des Intellektuellen zu begeben um mehr Macht zu haben. Der Narr sagt das, was sich andere nicht auszusprechen trauen. Es scheint, als ob auch die „Fortschrittlichen“ Angst vor der Komik haben, als wäre das eine Abweichung von ihrem Kampf.