In Brasilien gibt es nicht nur Land-, sondern auch Hausbesetzungen. Sogar im Stadtzentrum von Rio sind vier Häuser besetzt. Eines davon haben wir heute besucht. Es gehört ausgerechnet der Landreformbehörde INCRA und steht seit 20 Jahren leer. In der Nacht auf den 23. Juli wurde es von 60 obdachlosen Familien in Besitz genommen. Die Incra fordert das Gebäude zurück, noch ist der Prozess im Gange. Die brasilianische Verfassung verpflichtet Grund- und HausbesitzerInnen zur Nutzung ihres Eigentums. Präsident Lula hat noch im Wahlkampf dazu aufgefordert, leerstehende Häuser zu besetzen. Nach offiziellen Angaben gibt es in ganz Brasilien 6,5 Millionen obdachlose Familien und fünf Millionen ungenutzte Immobilien. Doch von Regierungsseite gibt es keine Unterstützung.
Den HausbesetzerInnen geht um mehr als eine Wohnung: Sie arbeiten mit der Uni zusammen, um Müllrecyclingprojekte ins Leben zu rufen und damit Geld zu verdienen, erzählt der 39jährige Maciel Silva dos Santos. Er ist vor Jahren aus Pernambuco nach Rio zugewandert und lebte bis Juli auf der Straße. „Es gibt Studien, denen zufolge Rio jährlich 600 Millionen Reais (170 Mio. €) mit der Wiederverwertung von Abfällen einsparen und 25.000 Menschen beschäftigen könnte“, behauptet Maciel.
Die BewohnerInnen haben sich strenge Regeln nach anarchistischen Prinzipien auferlegt: Wichtige Entscheidungen werden in wöchentlich stattfindenden Versammlungen getroffen. Dort werden auch Konflikte geregelt. Alkohol und andere Drogen sind im Haus verboten. Alle Arbeiten am Haus, Ver- und Entsorgung, Essen, Kinderbetreuung etc. werden solidarisch organisiert. Jede/r stellt wöchentlich 20 Arbeitsstunden zur Verfügung, wer Geld verdient leistet einen Solidarbeitrag. Bis jetzt scheint das zu funktionieren, die Stimmung ist gut, aber es sind auch schon Mitbewohner wegen asozialen Verhaltens rausgeflogen.