Naomi Klein wird mit „No Logo!“ zu einer paradoxen Marke
Nike-Chef Phil Knight könnte einem leid tun. Seit Life 1996 Fotos pakistanischer Kinder veröffentlichte, die den Nike-Swoosh auf Fußbälle nähen, ist der erfolgreichste Turnschuhhersteller der Welt Zielscheibe von Protesten. Seit Seattle und Prag, Davos und Porto Alegre ist es noch schlimmer: Ausgerechnet jene Generation, der mit dem Label „X“ politische Unbedarftheit und postmoderne Beliebigkeit angeheftet wurde, wendet sich plötzlich gegen ihre Schöpfer, die Marketingstrategen der großen Konzerne. Das ist ein Angriff auf die eigene Identität, schlimmer noch, Vatermord. Denn wer, wenn nicht Nike und Co., haben diese Generation zu dem gemacht, was sie sein soll: Jung, fit, schnell, konsumfreudig und grenzenlos im Denken, Fühlen und Handeln. „Just do it!“ lauteten Auftrag und Bestimmung, und man brauchte dazu wirklich nicht viel mehr tun als hin und wieder ein Paar Sneakers zu kaufen. Und jetzt stürmt diese Generation die Nike-Town in New York und stürzt das goldene Kalb in Form eines überdimensionalen Turnschuhs vom Sockel. Tortet Bill Gates. Schlägt die Schaufensterscheiben von McDonald’s ein. Prügelt sich auf der Welthandelskonferenz mit Polizisten. Hält Weltbank und Währungsfonds auf Trab. Stiehlt dem Weltwirtschaftsforum fast die Show.
Und dann kommt auch noch diese junge Frau mit dem Namen Klein und erklärt die außer Rand und Band geratenen Kids zur weltweiten politischen Bewegung, die mit einem „massenhaften politischen Jiu-Jitsu“ drauf und dran sei, Großkonzerne aufs Kreuz zu legen – indem sie wie bei der fernöstlichen Kampftechnik die Energie des Kontrahenten einfach umlenkt: „Die Macht der Marken beruht auf einem mit Millionen von Dollars gepflegten Image. Und genau dort brechen wir sie.“
Naomi Klein hat sich mit No Logo! in die Rolle der Jeanne d’Arc einer Bewegung, die eigentlich gar keine ist, geschrieben. Sie dokumentiert, wie ungezählte kleinere und größere Gruppen den Kampf gegen Modediktat und Markenmacht, gegen Kinderarbeit und Umweltzerstörung aufnehmen und dabei immer erfolgreicher werden. „Sie rettet die Welt vor der Marke X“, titelte das Magazin Globe and Mail in ihrer Heimat Kanada.
Sie rettet die Generation X, hätte man auch sagen können. Ausgerechnet eine bekennende Linke wird plötzlich zum Role Model der angeblich unpolitischsten aller Generationen, der sie ihr ihre Würde wiedergibt, indem sie deren Widerstand gegen das globale Kapital dokumentiert. Als „eine der größten Hoffnungen der Antikonzernbewegung“ bejubelte die New Yorker Village Voice No Logo. Die Londoner Times kürte Naomi Klein prompt zur „wohl einflussreichsten Person unter 35“.
Dabei wollte die dreißigjährige Kanadierin „einfach nur ein Buch schreiben“, wie sie im Interview sagt. Dass sie damit eine Bibel für jene geschaffen habe, die in der komplizierten Welt globaler Verflechtungen nach neuen Vorbildern jenseits von MTV und Michael Jordan suchen, glaubt sie nicht. Als ihr bei der Präsentation der deutschen Ausgabe in Berlin ein euphorischer Fan vorschlägt, „No Logo“ doch zum Logo eines weltweiten Netzes gegen den Kapitalismus zu machen, erwidert sie nüchtern und offenbar gar nicht erstaunt über das abstruse Ansinnen: „Sorry, aber ich kann euch nicht ins Gelobte Land führen.“
No Logo! ist soeben auf Deutsch erschienen – „eigentlich ohne Rufzeichen, ich weiß auch nicht, warum das in der Übersetzung plötzlich da steht – vielleicht hat das was mit Eurer Kultur zu tun?“ Vielleicht auch mit dem Verlag, einer Tochter des Bertelsmannkonzerns und damit selbst ein an Marktmacht nicht uninteressierter Global Player – was auf Seite 161 auch einen Absatz lang dokumentiert wird.
Naomi Klein kommt jedenfalls weitgehend ohne Rufzeichen aus. Ihre Analyse ist nüchtern und dennoch aufregend: Markenfirmen hätten, schreibt sie, den öffentlichen Raum bis in den entlegensten Winkel mit Logos und Marktbotschaften besetzt und ließen keinen Freiraum mehr für Individualität. „Brands, not products“ – Marken statt Produkte lautet die Parole: IBM verkauft keine Computer, sondern Problemlösungen. Bei Swatch geht es nicht um Uhren, sondern um die Idee der Zeit. „Wir verkaufen kein Produkt“, sagt Renzo Rosso, der Eigentümer von Diesel Jeans, „wir verkaufen einen Lebensstil.“ Die meisten multinationalen Unternehmen produzieren nämlich gar nichts. Das machen Zulieferbetriebe, die immer öfter in den Freihandelszonen Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Osteuropas angesiedelt sind. Damit ist auch die finanzielle Gewichtung geklärt: Die Marketingausgaben für einen Turnschuh oder einen Burger betragen ein Vielfaches der Herstellungskosten. Das geht natürlich nur, weil am anderen Ende der Produktkette Arbeits-, Menschen- und Umweltrechte keine Rolle spielen.
Dass Klein dagegen anschreibt, hat ihr auch den Vorwurf eingetragen, auf einen konservativen Rückzug in lokale Wirtschaftseinheiten zu setzen. „Es stimmt, dass es auch Leute gibt, die sich das wünschen“, sagt sie. „Doch mir geht es um etwas anderes: um mehr Partizipation, um mehr Arbeitsrechte, um mehr Demokratie auch im internationalen Wirtschaftsprozess. Damit meine ich aber etwas anderes, als wenn Ikea sagt: Hey, Demokratie, klingt cool, so nennen wir unser nächstes Produkt.“ Auf die am häufigsten gestellte Frage verweigert Klein hartnäckig die Antwort: Nein, sie habe keine Lösungen. Einer ihrer Fans versucht es dennoch: Man müsste was unternehmen, findet er. „Genau“, sagt Naomi Klein. Just do it.