Die USA und Ussama Bin Laden haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den Gewinnern der globalen Wirtschaft, die jährlich Millionen von Opfern hinnimmt.
Eine Meldung im Nachrichtendickicht verdient immer noch besondere Aufmerksamkeit: Der als Hintermann der Terroranschläge in New York und Washington verdächtigte Ussama Bin Laden könnte, so die Vermutung von Börsianern, daran selbst Millionen verdient haben. An den Börsen von New York, London und Tokio sollen kurz vor den Attentaten große Aufträge zum Kauf von so genannten Put-Optionen – Spekulationen auf fallende Kurse – erteilt worden sein. Der Drahtzieher des Terrors könnte so sein Wissen über die bevorstehenden Anschläge zu Geld gemacht haben, indem er zum Beispiel auf fallende Kurse von Versicherungsaktien oder Börsenindizes gesetzt habe. Die Auftraggeber solcher Insidergeschäfte sind nach Ansicht von Experten schwer zu ermitteln, da sie sich hinter einem Gestrüpp von Briefkastenfirmen verschanzen können.
Wenn das stimmt – was nach derzeitigem Wissensstand genauso unbewiesen ist wie die Behauptung, dass Bin Laden oder seine Anhänger hinter dem Terror stecken -, mündet die Attacke auf die Symbole des westlichen Kapitalismus unweigerlich in ein Paradoxon. Dann wäre nämlich der Hintermann des „Krieges gegen die Zivilisation“ selbst Shareholder einer Zivilisation, die auf die Twin Towers des Welthandelszentrums herabstilisiert wird und die es nun angeblich mit Waffengewalt zu verteidigen gilt.
So oder so: Ussama Bin Laden und George W. Bush können sich jetzt schon als Gewinner dieses zum Krieg erklärten Konflikts fühlen, der sich in seinen Motiven und seinen Auswirkungen als Kampf der Shareholder gegen die Stakeholder beschreiben lässt. Also als eine Auseinandersetzung zwischen den wenigen, die sich ihren Anteil an Macht und wirtschaftlichen Gütern der Welt AG gesichert haben, und dem großen Rest. Dazu gehören die Mitarbeiter, Anrainer und Kunden des Weltganzen, also alle. Sie werden in diesem Konflikt mobilisiert, sie fallen ihm zum Opfer. (Dazu zählen neben den Toten im World Trade Center vor allem die Millionen, die täglich an Hunger, Krankheit und Kriegen sterben, ohne dass es auf CNN übertragen wird.) Im besten Falle sichern sich die Stakeholder das eine oder andere Schnäppchen im globalen Ausverkauf. Das nennt man dann Freiheit, und die ist derzeit offenbar bedroht. „Es ist nun die Pflicht aller, wieder das zu tun, was uns Amerikaner ausmacht“, sagte US-Staatssekretärin Condoleeza Rice nach den Terroranschlägen auf einer Pressekonferenz: „arbeiten zu gehen und einkaufen zu gehen.“
Zugegeben, die Stimmung im Aufsichtsrat war schon mal besser. Etwa als der amerikanische Geheimdienst CIA unter William Casey in der Reagan-Ära die pakistanisch-afghanischen Mudschaheddin mit Dollarmilliarden im Kampf gegen die Sowjets unterstützte. Oder als die amerikanische Erdölgesellschaft Unocal im Jahr 1997 gemeinsam mit den Taliban den Bau einer Pipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan plante und dafür den Fundamentalisten reiche Geschenke zukommen ließ.
Wo immer es in der Welt um westliche Wirtschaftsinteressen geht, steigt die Bereitschaft, auch so genannte Schurkenstaaten als Shareholder dieser Interessen zu akzeptieren. So ist die Unocal gemeinsam mit der französischen TotalFinaElf noch heute in Myanmar (dem ehemaligen Birma) aktiv. Die Internationale Liga für Menschenrechte (FIDH) wirft beiden Konzernen vor, von Menschenrechtsverletzungen durch birmanische Militärs profitiert zu haben, die während der Bauarbeiten einer Pipeline begangen wurden. Im Fördergebiet seien Zwangsumsiedlungen mit Waffengewalt vorgenommen worden, Sklaverei und willkürliche Hinrichtungen gehören in Myanmar zum Geschäft.
Wer sich aber gegen den Mehrheitsaktionär stellt, gefährdet seinen eigenen Börsenwert. Zum Beispiel im Sudan. In dessen ölreichem Süden führt das fundamentalistisch islamische Regime einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung, finanziert mit Petrodollars. Die Militärs schützen die Anlagen der internationalen Ölfirmen und machen dabei schon mal das eine oder andere Dorf samt Einwohnern dem Erdboden gleich. Nachdem – schon wieder dieser Ussama! – Bin Laden mutmaßlich vom Sudan aus Terroraktionen gegen US-Botschaften in Ostafrika gesteuert hatte, finden die USA das nicht mehr so gut. Das Ölbusiness diene „der Unterstützung des Völkermordes“, begründete ein Kongressabgeordneter im Juni ein Gesetz, dem zufolge im Sudan tätige Erdölkonzerne ihre US-Börsennotierung verlieren. Die Amerikaner machen sich doch nicht zum Shareholder von Schurkenstaaten! Deshalb kooperieren dort nur Ölfirmen wie TotalFinaElf, Lundin (Schweden) und OMV (Österreich) mit dem Regime, während sich die britische BP distanziert – sie ist lediglich 1,2-Milliarden-Mark-Shareholder eines chinesischen Ölkonsortiums, das ebenfalls im Sudan tätig ist.
Was also ein Schurkenstaat ist, bestimmen die USA und ihre Verbündeten in den industrialisierten Ländern. Und da will man doch dabei sein! So sind zum Beispiel Haider-Österreich und Berlusconi-Italien keine Schurkenstaaten, sondern wie Russland oder China Shareholder im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus. Bei anderen kommen die mitarbeiterfreundlichen Kriterien der New Economy zur Anwendung: Wenn Pakistan im Krieg gegen Afghanistan mitmacht, gibts zur Motivation ein paar Anteile an der Welt der Guten. In Ländern wie Kongo oder Angola, in denen wertvolle Aktien in Form von Rohstoffen lagern, ist der jeweilige Geschäftspartner immer der Gute – und wird erst dann zum Schurken, wenn er den Börsengang vermasselt: zuerst Diktator Mobutu, dann der ehemalige Rebell Kabila; zuerst Rebellenchef Savimbi, dann der ehemalige Kommunist Dos Santos.
In welcher Form das Interesse der Stakeholder dieser Länder in den Vorstandsetagen der Welt AG wahrgenommen wird, machte kürzlich in Berlin der Direktor des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler, deutlich: Die Armutsbekämpfung stehe ganz oben auf seiner Agenda, versicherte er. „Doch letztlich bin ich meinen Shareholdern verantwortlich.“ Das sind im Fall des IWF, der gemeinsam mit der Weltbank über Wohl und Wehe hoch verschuldeter Länder entscheidet, 183 Mitgliedsstaaten – doch nur eine Hand voll verfügt über die Aktienmehrheit.
Die Besitzlosen und die Zurückgesetzten, die subjektiv und objektiv Zu-kurz-Gekommenen beginnen sich zu wehren. Sie steigen auf die Barrikaden wie in Genua, in kleine Boote wie an der Meerenge von Gibraltar oder in Passagierflugzeuge, um sich und andere in den Tod zu reißen, weil sie glauben, nichts mehr zu verlieren zu haben.
Was aber hat George W. Bush gegen Ussama Bin Laden? Vielleicht unterscheidet die beiden gar nicht so viel. Auch wenn er dafür von der ARD abgestraft wurde: So Unrecht hatte Tagesschaumoderator Ulrich Wickert nicht, als er meinte, Bush und Ussama Bin Laden verfügten über die gleichen Denkstrukturen.