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taz: „Kongo zwischen Resignation und Revolte“

Die Erwartungen einfacher Kongolesen an die Verhandlungskünste ihrer Politiker beim „innerkongolesischen Dialog“ sind gering. Aber wenn der Dialog scheitert, könnte das Land explodieren. Eindrücke von beiden Seiten der Kriegsfront.

Kinshasa. „Ça va un peu“ (Es geht ein bisschen), beschreibt Marcellin A. sein Befinden. Der 34-jährige Informatiker in Kongos Hauptstadt Kinshasa ist arbeitslos. Er lässt sich von seinem älteren Bruder aushalten, der als Beamter der Staatssicherheit hundert Dollar im Monat verdient. Seine beiden Töchter, drei und fünf Jahre alt, hat Marcellin schon lange nicht mehr gesehen. Sie leben mit der Mutter im 2000 Kilometer entfernten Lubumbashi.

Vor zwei Jahren ist Marcellin von dort in die Hauptstadt gezogen, wo er das Haus seines Bruders bewacht. Wer als Kongolese noch ein halbwegs regelmäßiges Einkommen hat, sorgt meist auch für die Verwandtschaft. Seit dem Krieg, der den Kongo seit dreieinhalb Jahren spaltet, stellen Millionen Vertrieben diese Tradition allerdings auf eine harte Probe.

Nun soll der „innerkongolesische Dialog“ zwischen den politischen Führern des Landes die Basis für Frieden schaffen. Marcellin hält Sun City jedoch für ein „Theater zur Beruhigung der Öffentlichkeit“. Er meint: „Ob der Krieg weitergeht oder nicht, wird in Washington, Paris, Brüssel oder London entschieden. Da geht es um geostrategische Interessen und um den Zugang zu den Bodenschätzen des Kongo. Unsere politischen Führer und die so genannten Rebellen sind nichts als Marionetten.“

Lubumbashi. „Ça va très, très mal“ (Es geht sehr, sehr schlecht). Diese Antwort von Saidi in Lubumbashi ist für Kongo ein unerhörter Tabubruch: Selbst im größten Elend wird ein freundliches „Wie geht’s?“ normalerweise ohne Klage beantwortet. Aber der 38-jährige arbeitslose Jurist, der seine Familie mit einer kleinen Schneiderwerkstatt durchbringt, kann nicht mehr anders. Von fünf Kindern besuchen nur zwei die Schule, mehr Schulgeld – fünf Dollar pro Kind und Monat – kann er nicht zahlen. „Ich kann ihnen nicht einmal jeden Tag zu essen geben. Ich weiß nicht, wie lange wir noch durchhalten. Wir sind müde, sehr, sehr müde.“ Ob der Dialog daran etwas ändert? „Ich weiß es nicht. Aber alle Kongolesen warten darauf. Sun City ist unsere einzige Chance.“

Im Minibus, der über die halb zerstörte Landstraße ins Bergbaustädtchen Kolwezi rattert, stellt sich heraus, dass ein 14-jähriges Mädchen das Fahrgeld – umgerechnet knapp zwei Euro – nicht hat. Bei der Ankunft verspricht sie, das Geld bei ihren Eltern zu holen. Die Busbesatzung folgt ihr und zerrt das Mädchen schließlich aus dem Elternhaus in Richtung Polizeistation, gefolgt von einer johlenden Meute. Als der weiße Mitreisende interveniert und bezahlt, gibt es eine aufgeregte Diskussion. Dann fasst einer zusammen: „Es ist eine Schande. Wir stecken schon so tief im Elend, dass wir kurz davor sind, unsere Kinder zu zerfleischen.“

Goma. „Nous sommes toujours là“ (Wir leben noch), antwortet Umoja M. in Goma. Wohnung und Arbeitsplatz des 25-jährigen Hotelrezeptionisten wurden am 17. Januar von der Lava des Vulkans Nyiragongo begraben.

„Wenn der Dialog misslingt, droht eine Somalisierung des Kongo“, sagt Jean-Pierre Lola, Sprecher der hier herrschenden Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) in Anspielung auf den Zerfall Somalias. Also: Noch mehr Chaos? Umoja kann sich eine Verschlimmerung der Situation kaum vorstellen. „Wir sind müde, wir haben nichts mehr zu verlieren“, meint er. „Wenn Sun City scheitert, weiß ich nicht, was passiert. Irgendwann reicht es den Leuten. Und dann bricht hier ein Vulkan aus, der gefährlicher ist als der Nyiragongo.“

Bukavu. „On n’est pas encore mouru“ (Wir sind noch nicht tot), sagt Luanda T. in der anderen großen Stadt des östlichen Kongo. Als Befindlichkeitsansage meint das der 54-jährige Professor offenbar nicht. Am zweiten Abend nach Beginn des „Dialogs“ hört man im Stadtzentrum Gewehrfeuer. „Einige Leute verlieren schon die Geduld“, erklärt Luanda. „Sie wollen nicht warten, bis Sun City scheitert.“ Von Plünderungsversuchen ist die Rede.

Am nächsten Tag versammelt sich am Ende einer Straße eine Menschenmenge und umringt die fremden Besucher feindselig. „Wir sind arbeitslos! Wir haben nichts zu essen! Wir leiden!“, rufen die Leute.

Luanda erzählt von einem Brief an die Politiker in Sun City, der bereits von mehreren hundert Einwohnern der Stadt unterschrieben worden sei. „Wenn ihr nicht mit einem konkreten Ergebnis kommt“, steht sinngemäß drin, „dann braucht ihr gar nicht mehr wiederzukommen.“ Das kann man auch als Kampfansage verstehen.