Am 1. Mai wird die Europäische Union um zehn Länder erweitert. Nach einer Übergangsfrist werden damit auch für deren Bevölkerungen die so genannten vier Grundfreiheiten gelten: Freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital – und Personen. Wer möchte, kann sich innerhalb Europas also frei bewegen, sich niederlassen und arbeiten.
Als die EU den freien Personenverkehr einführte, fürchteten viele, dass nun Hunderttausende Menschen aus ärmeren Ländern wie Griechenland oder Portugal nach Norden ziehen und uns hier unserer Arbeitsplätze, unserer Lebensqualität oder gar unserer Kultur berauben würden. Nichts davon ist geschehen. Und es wird auch mit der EU-Erweiterung nicht passieren. Denn so mangelhaft die Brüsseler Politik auch sein mag, sie hat zumindest für einen gewissen Ausgleich der wirtschaftlichen Möglichkeiten innerhalb Europas gesorgt. Und nachdem die meisten Menschen in Süd- bzw. Osteuropa offenbar der Ansicht sind, dass eine dauerhafte Niederlassung in Nord- bzw. Westeuropa ihre Lebensqualität nicht maßgeblich verbessern würde, bleiben sie lieber daheim oder kommen allenfalls zum Schifahren oder Mozartkugelessen.
Auf globaler Ebene ist das anders. Der Wegfall von Handelsschranken, niedrige Transportkosten und neue Technologien haben de facto die ersten drei Grundfreiheiten globalisiert – allerdings nur in eine Richtung: Kapital, Rohstoffe und die Früchte von Arbeitskraft fließen wie ein nie versiegender Strom von Süden nach Norden. Die jährliche Entwicklungshilfe aller Industrieländer an die so genannte Dritte Welt beträgt rund 53 Milliarden Dollar. Dafür zahlen die ärmeren Länder jährlich rund 125 Milliarden Dollar allein an Zinsen für Schulden, die ehemalige Regime oder Kolonialherren dieser Länder in Kollaboration mit korrupten Konzernen und Banken hinterlassen haben. Allein die Exportsubventionen der europäischen Landwirtschaft kosten die ärmeren Länder rund 300 Milliarden Euro pro Jahr – also das Sechsfache der weltweiten Entwicklungshilfe. Davon profitieren in erster Linie die reichen Eliten der Industrieländer – die Aktionäre der Agrarindustrie, der multinationalen Konzerne und Banken. Diese Befürworter des globalen Freihandels beanspruchen die Grundfreiheiten für sich, einem Großteil der Weltbevölkerung werden sie aber verweigert.
Wie wäre es, wenn wir das Modell der EU globalisieren würden? Wenn also nicht nur, wie jetzt, Kapital und Finanzen „frei“ wären, sondern auch Menschen? Würden sich dann beispielsweise 800 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner auf den Weg nach Europa machen? Keineswegs. Wenn etwa Europa eine „Süderweiterung 2020“ in Betracht ziehen würde, bliebe ausreichend Zeit, der Ausbeutung ein Ende zu setzen. Und damit dem wichtigsten Grund für Auswanderung: der Flucht aus dem Elend. Kaum ein Nigerianer und kaum eine Somalierin würde das wirtschaftliche und persönliche Risiko einer solchen Reise auf sich nehmen, so wenig wie die Mehrheit der Portugiesen oder Slowakinnen derzeit. Gemessen am natürlichen Reichtum und der potenziellen Lebensqualität der meisten afrikanischen Länder hätten wir wohl eher eine Entvölkerung Europas zu befürchten – in der Realität würde sich aber wahrscheinlich die Zahl österreichischer Bungalowbesitzer im Kongo mit der kongolesischer Schitouristinnen in Tirol die Waage halten. Und weil „EU-Süderweiterung“ ja doch ein bisschen kolonialistisch klingt, sollten wir den Spieß einfach umdrehen: Norderweiterung der Afrikanischen Union 2020. Warum eigentlich nicht?