Es gibt Gerüchte, die werden so oft aufgekocht, dass sie nicht mehr wegzukriegen sind – wie angebrannte Speisereste am Boden einer Pfanne. Die größte Kunst ist es, ein einziges Wort so lange ins kollektive Bewusstsein zu brennen, bis eine absurde Behauptung als unumstößliche Wahrheit gilt.
So könnte man ein ganzes Lexikon der Wortlügen schreiben. Es enthielte vor allem Begriffe des politischen Alltags wie „Reform“ (Unterkategorien: „Steuerreform“, „Pensionssicherungsreform“), „Standortsicherung“, „Besitzstandswahrer“, „Entpolitisierung“, „Demokratie“ und andere.
Eines der ältesten und am wenigsten hinterfragten Wörter aus der politischen Gerüchteküche ist der Begriff der „Arbeitslosigkeit“. Er legt nahe, dass es zu wenig Beschäftigung gibt. Oder genauer, dass es mehr Leute gibt, die arbeiten wollen, als Arbeit da ist, die getan werden muss.
In Österreich sollen zwischen 300.000 und 400.000 Menschen arbeitslos sein. „Nach einer durchschnittlichen Arbeitslosenrate von sieben Prozent im Jahr 2003 droht heuer ein Anstieg auf bis zu 7,4 Prozent“, vermeldete etwa die APA Mitte Jänner.
Die Statistiker drohen, die Statisten zücken die Waffen. „Attacke“, schreit die Opposition, „Reformen“ antwortet die Regierung. Und das bedeutet meistens nichts Gutes. Denn immer wenn das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit über uns hängt, also quasi dauernd, folgen „einschneidende Maßnahmen“: Steuern reformieren – Sozialausgaben kürzen – Sparpakete schnüren – Standort sichern – Standards senken.
Dabei gibt es gar keine Arbeitslosigkeit, also keinen Mangel an Arbeit. Im Gegenteil: Es gibt viel mehr Arbeit zu tun, als erledigt wird – etwa in der Betreuung von Kranken, Kindern, Alten, Flüchtlingen und sozial Ausgegrenzten; im Bereich der Kunst, der Kontrolle der Mächtigen, der sozialen Infrastruktur, der weltweiten Armutsbekämpfung.
Ja, im lukrativen Sektor der Produktion von Gütern die wir nicht unbedingt brauchen (Massenvernichtungswaffen, Schnellstraßen, Fotohandys) wird heute ein großer Teil der Arbeit von Maschinen erledigt. Ich erinnere mich noch, wie toll ich mir als Kind das Jahr 2000 vorgestellt habe. Da las ich in einer Geschichte mit dem Titel „Wundern – wagen – wissen“, dass im Jahr 2000 die ganze Arbeit von Maschinen gemacht wird und wir alle nicht mehr arbeiten müssen. Und jetzt? Jetzt haben wir in manchen Bereichen genau diesen herrlichen Zustand erreicht und niemand freut sich!
Das Problem ist, dass nur wenige von dieser Modernisierung profitieren und die Mehrheit der Menschen zwar genug zu tun hätte, aber dafür nichts kriegt. Statt einer fiktiven Vollbeschäftigung nachzulaufen sollte es uns voll beschäftigen, gesellschaftliches Einkommen gerechter zu verteilen.
Dazu ist es nötig, eine weitere Lüge zu entlarven. Nämlich die, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen. Die Wirtschaft wächst, mehr als nötig. Die Armut nimmt dennoch zu, weil sich der Reichtum in den Händen weniger konzentriert. Diese wenigen profitieren davon, dass mit dem Damoklesschwert „Arbeitslosigkeit“ soziale und ökologische Standards gesenkt werden und der Beitrag der Eliten zur Erhaltung gesellschaftlichen Wohlstandes gesenkt wird. Allein eine Anhebung der Vermögens- und Gewinnsteuern in Österreich auf das EU-Durchschnittsniveau brächte rund vier Milliarden Euro jährlich und damit die Finanzierbarkeit des Sozialstaates.
Was es – zum Unterschied von der Arbeitslosigkeit – wirklich gibt, ist das immer größer werdende Problem der Erwerbslosigkeit. Und es wäre schon genug Arbeit, die zu bekämpfen.