Dona Tereza ist 67 Jahre alt. Ihr Großvater wurde als Sklave eines Großgrundbesitzers geboren. 1888 wurde in Brasilien die Sklaverei abgeschafft. Danach arbeitete Terezas Großvater für den selben Herrn – für einen Hungerlohn. So wie ihr Vater. Und so wie Dona Tereza selbst – nur dass irgendwann der Hungerlohn nicht mehr zum Hungern reichte. Seit Jahren lebt Dona Tereza in einem Zelt aus schwarzen Plastikplanen. Gemeinsam mit den Leuten von der Landlosenbewegung MST hat sie ein Grundstück besetzt, das laut Verfassung enteignet werden kann, weil dort Männer, Frauen und Kinder in Schuldknechtschaft zur Arbeit gezwungen wurden. „Wir werden dieses Land bebauen, und unsere Enkel werden nicht mehr für weiße Herren arbeiten“, sagt Dona Tereza und reißt ein Büschel Unkraut aus. Der Verband der Grundbesitzer hat angekündigt, mit Waffengewalt gegen die Besetzungen vorzugehen.
Luiza ist 26 und im siebten Monat schwanger. Bis vor einer Woche musste sie für 100 Reais (30 Euro) im Monat in einer Zuckerfabrik arbeiten, 60 Stunden die Woche. Der staatliche Mindestlohn beträgt 240 Reais, doch Luiza hat Schulden beim Fabriksbesitzer – allein für das dunkle Zimmer, das er ihr und ihrer Familie zugewiesen hat, werden es monatlich um 200 Reais mehr. Nun ist Luiza geflüchtet. 1888 wurde in Brasilien die Sklaverei abgeschafft. 2003 wurden in Brasilien 5000 Sklaven befreit.
Jean-François ist 27 Jahre alt und Journalist. Der Franzose ist weitgereist, per Email schickt er seine Artikel an europäische Wirtschaftsmagazine. Er ist schlank und muskulös, dass er jeden Tag bis zu zehn Caipirinhas trinkt ist ihm nicht anzusehen. Jean François steht auf Schwarze, erzaehlt er, während er an seiner Caipirinha nippt, die Hand auf dem Schenkel einer jungen Frau. „Es gibt zwei Arten von Brasilianerinnen: Superreiche und Huren. Wenn eine nicht Ministertochter ist, dann ist sie eine Hure.“ Er sagt das in makellosem Portugiesisch.
Célia ist ungefähr 16 und sagt nichts.
Joana ist 32 und spielt Geige, Mozart und Vivaldi, wenn niemand zuhört. Sie wäre gerne Journalistin, weil man da reisen kann, aber sie hat die Uni nicht abgeschlossen, weil das Geld nicht reicht. Und ohne Studium kein Job, schon gar nicht für eine Schwarze. 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung von Bahia sind schwarz, doch die Medien gehören der reichen Oberschicht – und die ist weiß. Joana lebt in der Favela São Caetano im Norden von Salvador, gemeinsam mit fünf Geschwistern, ihrer Mutter und deren Mann. Mit dem hatte sie im Alter von elf Jahren den ersten Geschlechtsverkehr. Es tut heute noch weh. Mit 13 nahm sie Kokain, das ist hier billig, heute kommt Joana auf drei Gramm in der Woche, man sieht es ihr gar nicht an, nicht auf den ersten Blick.
Katia ist 26 und wollte nur für ein paar Tage nach Bahia kommen. Das war vor einem Jahr. Heute nimmt die Belgierin Tanzkurse und gibt Kindern Unterricht in Englisch und Französisch. Im Mai heiratet Katia, dann kriegt sie die Aufenthaltsbewilligung und muss nie wieder hier weg.
Zé ist 24 und bis über beide Ohren verliebt.
João ist vielleicht 5 (er weiß es selbst nicht so genau) und fischt Aludosen aus Abfällen und Essensresten, manchmal nimmt er auch die. Die Dosen zerquetscht er und verkauft sie für ein paar Centavos an die Recyclingfirma. Wenn João erzählt, wie das Geschäft läuft, macht er das wie ein Großer. João ist vielleicht 5, er weiß es selbst nicht so genau.
Es gibt Momente, da raubt einem die Schönheit hier den Atem. Es gibt Momente, da bleibt einem die Luft weg, so schreien möchte man.